Archiv: 1916-12

Brief: Darmstadt, den 24.12.16

Die dritte Kriegsweihnacht
Oh du selige, oh du fröhliche gnadenbringende Weihnachtszeit!
Ausgerechnet heute auf Hl. Christnacht bin ich auf Wache kommandiert worden.
Da sitzt man nun wieder auf dieser elenden Bude und könnte mit Gott und der Welt in Kriegszustand treten. Doch Friede den Menschen auf Erden! Wenn auch alle Welt sich in den Haaren liegt, so will ich mir dadurch doch nicht ganz und gar die Stimmung verderben lassen. Wenn die Nacht sich hernieder senkt und Erinnerungen in uns wachrufen an vergangene Zeiten, an die Tage der Kindheit dem wir allem jetzt, wenn auch mit stiller Wehmuth entsagen müssen, so muß uns die Hoffnung doch wieder beleben an bessere Zeiten. Wenn auch die Zukunft noch verschwommen und in grauen Nebel getaucht voruns liegt, so muß es doch einmal wieder eine gesegnete Weihnacht geben. Es muß einmal Frühling werden. Diese Zeiten der Prüfung nehmen auch mal ein Ende, auf daß man das: „Friede den Menschen auf Erden“ aus voller Kehle wieder singen kann. Ich meine unser Herrgott müßte doch bald mal ein Einsehen haben mit der schwer gestraften Menschheit. Es ist in dieser Zeit doch wahrlich schon genug Jammer und Elend in die Welt gekommen. Es sind eben bittere Gedanken, die einem an solchen Tagen in dieser Zeit befallen. Man hat ja alle Ursache auch noch so mit seinem Schicksal zufrieden zu sein; so manches hoffnungsvoller lebenslustige Menschenherz hat ja inzwischen ewigen Frieden gefunden. Wer am besten abgeschnitten hat ist ja unserer Kurzsichtigkeit vorenthalten.
Da brauch man nicht zu sagen:“Gott straf mich“, denn so ’nen Christabend habe ich in meinem ganzen Leben noch nicht erlebt. Ich glaube, es wird doch so werden, wie ich in Frankfurt schon hörte, dass wir am 4.1.17 erst ausrücken. Aber was mich freut, haben wir jetzt wenigstens ein anständige Quartier. Jeder sein Bett alleine (blütenweiß) schönes, helles, großes Zimmer, Kanapee u.s.w. und morgens gibt’s auch Kaffee.