Archiv: 1914-09

Fortsetzung aus dem Feldlazarett, Landau, den 16.9.1914

Die Nacht ist wieder mal vorüber. Habe mal ausnahmweise sehr gut geschlafen. Hatte auch sozusagen gar keine Schmerzen. War um 12 Uhr mal wach, habe dann durchgehend geschlafen bis 6 Uhr. Um 7 Uhr fängt für uns der Tag an. Dann kommen die Pflegerinnen, dann gibts Kaffee. 2 Brödchen und 2 Tassen Kaffee mit Milch und Zucker. Um 10 Uhr gibts in der Regel auch erwas, entweder ein Stück trockenes Brod und ein Apfel oder Birne oder zuweilen auch ein Schmierkäsestück. Im Laufe des Vormittags geht dann der Arzt über die Stuben, sieht nach seinen Patienten und bestimmt, wer verbunden wird. Das geschieht im Laufe des Nachmittags noch einmal. Um 12 Uhr gibts Mittagessen, 4 Uhr Kaffee, ein Stück trockenes Graubrod und wieder 2 Tassen wie des Morgens. Mitunter auch mal ein Stück Kuchen, wenn so ne mitleidige Seele was gestiftet hat. Um halb 7 Uhr gibts dann das Abensessen. 8 Uhr gehn die Pflegerinnen nach hause. Des Nachts haben die Sanitätssoldaten dann abwechselnd Wache.

Aus dem Feldlazarett, Landau, den 15.9.1914

Heute sind es gerade 3 Wochen, dass ich auf die Nas geworfen wurde, was doch die Zeit rumgeht. Viel Schmerzen hab ich allerdings aushalten müssen, auch jetzt noch mitunter, besonders des Nachts. Der Arm macht sich ja ganz gut. Der Fuß war ein bischen zu schnell geheilt, war schon rumgelaufen wie gewöhnlich. Am letzten Freitag nun war beim Verbinden etwas Eiter in der Wunde. Da ging die Quälerei wieder von vorne an, jetzt hat sichs wieder bedeutend gebessert, und hoffe, dass es nun mit Gottes Hülfe so weitergeht. Eigentlich brauch ich mich ja nicht zu beklagen, wenn ich andere arme Teufel betrachte, was die aushalten müssen. Bei mir sind auch verschiedene auf der Stube. Das ist als ein Gejammer sondergleichen, habe in der Beziehung auch schon mein Teil geleistet. Es tut nur gut, dass alles vorbeigeht. Am gräßlichsten sind die Nächte, es ist jeder froh wenn die herum sind. Hier in der Schule sind ungefähr 150 bis 180 zum Teil sehr schwer Verwundete untergebracht. Außerdem ist hier noch das Garnisonslazarett und drei oder vier Hilfslazarette. Hier ist das Rote Kreuz tätig. Drei Schwestern vom Roten Kreuz und ungefähr 25 freiwillige Pflegerinnen von hier und circa 10 Sanitätssoldaten. Da sind immer alle Hände voll zu thun. Aber es schafft jeder willig und freudig an seinem Platz. Die Pflege ist gut und viele Opfer werden gebracht. In solchen Zeiten wird der Charakter einer Bevölkerung auf die Probe gestellt. Aber der deutsche Volksgeist hat sich bis jetzt glänzend bewährt. Also meine Lieben, schlimm ist die Sache durchaus nicht mehr. Die Beinwunde ist in ein paar Tagen vollständig zugeheilt. Das Laufen geht auch soweit schon wieder und der Arm ist auch bald wieder im Schuß. Knochen und Sehnen sind nicht verletzt. Fühle mich im Allgemeinen ganz wohl, wenn ich bloß nicht mehr in der Falle zu liegen brauchte.

Aus dem Feldlazarett, Landau, den 5.9.1914

Gestern noch auf stolzen Rossen, heute durch die Brust geschossen – so heißts bekanntlich in dem Lied. So hats auch uns gegangen. Des einen Tags noch gesund und munter, dass man die Welt hätte aus den Angeln hätte heben mögen, und ein paar Stunden weiter liegt man auf der Erde wie ein Häufchen Elend.

Obwohl es mir kolossale Schwierigkeiten macht, will ich Euch doch nicht im Ungewissen lassen und über alles aufklären. Sitze im Bette, auf den Beinen ein großes Buch, auf dem der Briefbogen liegt. Habe den rechten Arm mit dem Handgelenk in der gesunden linken Hand liegen und fahr so mit der Hand immer zum Schreiben vor- und rückwärts. Die rechte Hand ist ja auch gesund, nur das Ellbogengelenk, da haperts.

Nach mancherlei Entbehrungen, Märschen und Strapazen, was ich jetzt nicht alles einzeln anführen will, rückten wir am Dienstag den 25.8. morgens 6 Uhr in unser erstes Gefecht, welches für mich und wohl die meisten von uns vorläufig das letzte ward, denn schon kurz nach 8 Uhr war ich schwer verwundet. Wir rückten ins Gefecht erst über weites Feld und durch ein Walddickicht, wo man fast nicht durch konnte ohne feindliches Feuer. Erst am Waldrand bekamen wir Feuer von französischer Infanterie. Aber das hatte keine Not, denn die schießen so schlecht, sollten sich besser das Lehrgeld wiedergeben lassen. Also gings durch, immer vor. Wir lagen in der Schützenlinie, aßen weiße Rüben frisch vom Acker, denn hatten lange nichts mehr unter die Zähne gekriegt und machten unsere Witze. Die Franzosen konnten sich nicht halten in unserem Feuer, hatten kolossale Verluste und gingen unaufhaltsam zurück. Wir immer feste hinten drauf. Auf einmal änderte sich das Spiel, denn plötzlich bekamen wir französisches Artilleriefeuer von drei Seiten und unsere Artillerie war zu schwach, vollständig ohnmächtig dagegen. Es regnete förmlich Schrapnells auf uns. Es sind dies Artilleriegeschosse, welche hauptsächlich auf Infanterie angewendet werden. Die Geschosse sind gefüllt mit lauter kleinen Kugeln von Blei oder Kupfer, explodieren über den Köpfen und fliegen dann strahlenförmig auseinander. Wer im Bereich von so einem Geschoßfeuer ist, kann sich mit unserem Herrgott schon ins Reine setzen; dann ist Zeit. Also wie gesagt, als wir Artilleriefeuer bekamen liefen wir immer Zick-zack möglichst den Geschossen aus dem Weg. Wir waren schon ziemlich nahe an der feindlichen Stellung ran. Ich lief momentan ganz allein, bis auf 10 Meter links und rechts war keiner. Da kam ich grad in eine volle Schrapnellladung rin. Ich glaubte, es hätte mit jemand den rechten Arm abgehauen am Ellbogen. Das Gewehr flog aus der Hand und ich um wie ein nasser Sack. Jetzt merkte ich, dass ich in der rechten Hüfte auch einen Schuß hatte und Schmerzen dort im Arm wie rasend. Ich hab gejammert wie ein Hund.

Nun hab ich mir meinen Tornister mal vom Rücken geschafft und mich längs hingestreckt, den Kopf auf dem Tornister. Zu allem Glück hatte ich ne Feldflasche voll Rotwein bei mir, welche mir den Tag über sehr von statten kam. Später machte ich mir die Zeltbahn und Mantel mit der linken Hand überm Kopf her los, legte mir die Zeltbahn über die verwundete rechte Körperhälfte, dass die Sonne nicht so auf die Wunden brennen konnte, und deckte mich mit dem Mantel zu. Das Koppel konnte ich nicht aufmachen mit einer Hand und so schnitt ich es denn mit der größten Anstrengung durch. So lag ich denn da, hilflos und verlassen, annähernd 13 Stunden unter jämmerlichen Schmerzen im stärksten feindlichen Feuer; jeden Augenblick dachte ich jetzt ists aus, aber es hat doch noch gut gegangen, Unkraut vergeht eben nicht.

Abends habe ich dann vorüberkommenden Patrouillen gute Worte gegeben, dass sie mich mitgenommen haben. Die packten mich in die Zeltbahn und schleppten mich fort zum Verbandsplatz, der eine Stunde entfernt war. Und was ich da ausgehalten hab und die nächsten Tage, wo wir mit dem Leiterwagen von einem Ort zum andern gefahren wurden, das geht auf keine Kuhhaut drauf. Habe zwei Schuß im rechten Armgelenk und einen Schuß in der rechten Hüfte. Ein Schuß schlug mir den rechten Stiefel unten in den Falten durch, Fuß blieb unverletzt und ein Schuß schlug mir die Scheide vom Seitengewehr durch. Jetzt sind wir wieder mobil.